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Ein Artikel von Dominique Cirstea
Vor allem der globale Wettbewerb macht es Unternehmen immer schwerer, profitabel und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften. Wo liegt der Unterschied, zwischen profitorientierten Unternehmen und solchen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf allen Ebenen fair und nachhaltig zu agieren? Und wie schaffen diese Unternehmen den Spagat zwischen einem nachhaltigen Ressourcenmanagement, fairen Arbeitsbedingungen und dem wirtschaftlichen Druck?
Wir haben uns entfremdet. Von Gütern aller Art. Von den Menschen, die sie produzieren. Von den Tieren und der Natur, die ausgebeutet werden, damit wir unseren Hunger nach Kleidung, Lebensmitteln, Elektroartikeln oder trivialem Krimskrams stillen können. Mehr oder minder stecken wir alle in einem Wirtschaftssystem fest, das im Aufkommen der industriellen Revolution seine Wurzeln geschlagen hat, die bis in unsere heutige Zeit reichen. Wie ein alter knorriger Baum ist auch der Kapitalismus ein standhaftes, aber nicht unumstößliches Gewächs. Es gibt immer wieder neue Triebe, die differenzierte Formen des Wirtschaftens aufzeigen. Dies geschieht im Kleinen, wie im Großen. Im privaten, wie auch im öffentlichen Raum. Wie aber ist die Frage nach einem ökologischen Kapitalismus zu beantworten? Gibt es ihn? Und wenn ja: wie sieht er aus? Was das zerstörerische Ausmaß des Kapitalismus betrifft, können wir nicht rückgängig machen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Das bedeutet nicht, dass wir keine Veränderungen erwirken können, was unsere gemeinsame Zukunft betrifft. Dennoch befinden wir uns seit geraumer Zeit in einer Krise, die bereits viele Opfer zählt. Genau genommen sind es drei Krisen. Die Klimakrise, die Energiekrise und die Ressourcenkrise [1]. Ursachen hierfür seien dominante Wirtschaftsparadigmen, wie Wirtschaftswachstum, Gewinnmaximierung der Unternehmen oder individuelle Reichtumsvermehrung sowie die verschwenderische Nutzung fossiler Rohstoffe, der Konsumismus und die bewusste Zerstörung von nachhaltigen Kulturen und Lebensformen.
Der Begriff der Krise wird mittlerweile inflationär verwendet. Dies ist gefährlich, denn die Erwartungen an die Politik sehen oft eine schnelle Lösung dieser, ohne, dass die wirklichen Ursachen in kurzer Zeit bekämpft werden können. Wer aus den vergangenen Krisen („Wirtschaftskrise“, „Flüchtlingskrise“ …) keine Spätfolgen davongetragen hat oder von vornherein nicht tangiert war, tut sich schwer damit, aktuelle oder künftige Krisen ernst zu nehmen. Kinder und Jugendliche von heute wachsen in einer Welt auf, in der Krisen normal scheinen, vielleicht sogar notwendig, um Veränderungen hervorzubringen. Diese sollten aber niemals aus einer Krise entstehen, sondern ebendiese vorbeugen! Die Problematik der Ausbeutung von Mensch, Natur und Tier ist allgegenwärtig und fast jedes Produkt, das in herkömmlichen Supermärkten zu finden ist, trägt eine Spur davon.
Über 90 % der in Deutschland verkauften Textilien werden importiert und haben oft einen Weg von mehreren tausend Kilometern hinter sich. Der größte Anteil kommt aus Asien, Lateinamerika oder Osteuropa, wobei Spinnerei, Färberei und die eigentliche Produktion selten in nur einer Fabrik oder gar einem Land stattfinden [2]. Die Bekleidungsindustrie ist wohl das prominenteste Beispiel für Ausbeutung, Verletzung von Menschenrechts-, Sozial- und Sicherheitsstandards. Und trotzdem: Bangladesch, El Salvador oder Rumänien sind zu weit weg, als dass es uns wert wäre, ein fair gehandeltes T-Shirt für einen weit höheren, angemessenen Preis, zu erwerben, wenn riesige Modeketten nur wenige Euro dafür verlangen. Wer nicht bereit ist, diese Differenz zu berappen oder seine Konsumlust anderweitig zu befriedigen, trägt eine Mitschuld, dass Menschen unter prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen, um sich einen Hungerlohn zu verdienen. Gegen diesen Missstand kämpft das Unternehmen El Puente seit Ende der 1960er Jahre – erst als Verein, seit Ende der 1970er Jahre in Form einer GmbH, die bis heute besteht. „Unser Grundsatz ist es, Mensch und Umwelt vor Profite zu stellen. Bei vielen konventionellen Unternehmen ist es umgekehrt“, sagt Anna-Maria Ritgen von El Puente. Groß geworden ist das Unternehmen mit der Weltladenszene. Heute werden Textilien, Schmuck oder Lebensmittel auch online verkauft, wobei der größte Umsatz noch immer analog generiert wird. „Früher wurden die Produkte aus Solidarität gekauft, selbst, wenn der Kaffee oder die Schokolade scheußlich geschmeckt haben. Heute sind die Ansprüche viel höher, dementsprechend mussten auch wir uns anpassen, damit die Produkte weiterhin gekauft werden und die Menschen im globalen Süden davon profitieren.“ Besonderen Wert legt El Puente auf Wertschöpfungsketten innerhalb der Produktionsländer, damit der größtmögliche Anteil an Einnahmen bei den Produzent:innen selbst verbleibt. Für die Handwerker:innen und Lebensmittelproduzent:innen werden zudem geförderte Workshops angeboten, damit die Endprodukte auch heutigen Standards entsprechen, was Design oder Rohstoffqualität betrifft. Eine Liste an fairen und nachhaltigen Modelabels findet sich beispielsweise auf der Online-Plattform Utopia [3]. Unter den Labels finden sich viele deutsche oder europäische Unternehmen, die GOTS-zertifizierte Produkte – also Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern – anbieten [4]. Viele sind Mitglied bei der Fair Wear Foundation [5]. Buy less, choose well, make it last. Frei übersetzt: Kaufe weniger, wähle sorgfältig aus, erfreue dich langfristig daran. Vor allem bei eher schmalen Geldbeuteln stößt das berühmte Zitat der Modedesignerin Vivienne Westwood jedoch an seine Grenzen. Wer selbst nur den Mindestlohn verdient, Arbeitslosengeld II oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezieht, muss seinen Umgang mit Geld anders gestalten als Menschen mit hohem Einkommen. Der aktuelle Hartz IV Regelsatz von monatlich 432 Euro sieht für Kleidung und Schuhe Ausgaben von 37,84 Euro vor [6]. Für ein fair gehandeltes Shirt reicht das vielleicht gerade so. Wenn überhaupt.
Der Konsum von Nahrung und alkoholfreien Getränke wird monatlich mit 150,60 Euro abgedeckt [6]. Was uns zum nächsten Punkt bringt: nachhaltige Lebensmittel. Die Bandbreite an Siegeln und Zertifikaten scheint endlos zu sein. Bio, Fairtrade, fair+, Rainforest Alliance, Naturland … Das Problem daran: der Begriff fair ist nicht geschützt. obwohl dieser Begriff von Verbraucher:innen mit gewissen Attributen assoziiert wird, regelt jedes Unternehmen für sich, was als fair gilt. Es gibt jedoch acht Grundsätze des Fairen Handels, die von der internationalen Dachorganisation Fairtrade International, World Fair Trade Organization und der European Fair Trade Association entwickelt wurden. Darunter sind beispielsweise Faire Preise für Rohstoffe, ein möglichst umweltverträglicher und ökologischer Anbau sowie langfristige Handelsbeziehungen [7]. Nichtsdestotrotz verdienen auch die Unternehmen daran, die diese Grundsätze einhalten – oder auch nicht. Der Schummel mit angeblich fair gehandelten Produkten verunsichert immer mehr Menschen und führt letztlich dazu, dass auch solche Unternehmen, denen wirklich etwas daran gelegen ist, den Handel fairer zu gestalten, unter Generalverdacht gestellt werden.
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Es gibt auch Unternehmen, die weder fairtrade noch ausschließlich bio sind, von Verbraucher:innen aber äußerst positiv angesehen werden. Oatly ist so ein Unternehmen. Gefühlt jeder zweite Instagram-Feed und nahezu jedes Berliner Café sind mit den Kartonverpackungen des schwedischen Haferdrinks förmlich dekoriert. Obwohl die Produkte in Tetra Pak, also einem schwer recycelbaren Verbundmaterial, verkauft werden, haben sie ein grünes Image. Auf ihrer Homepage finden sich Antworten auf die Fragen, warum Glasflaschen keine Option für das Unternehmen sind oder wie die aktuellen Einkaufsrichtlinien aussehen [8]. Nach einer Welle an Kritik, aufgrund der Investitionen durch die Blackstone Group, ist das Image des Haferdrinkherstellers angekratzt. Inwiefern die Entscheidung zu bewerten ist, ist nicht einfach zu beantworten, auch wenn sich viele Food-Influencer:innen mit Videos und Textbeiträgen zu diesem Thema geäußert und teilweise zum Boykott der Marke aufgerufen haben. Ja, es geht dabei auch um Tierschutz. Um pflanzliche Alternativen zu Milch – ein Produkt, das immer (sic!) die Ausbeutung von Tieren beinhaltet, ob bio oder konventionell. Es geht dabei um ein Lebensmittel, das Oatly schnell zum coolen Statussymbol befördert und es damit einer breiten Masse schmackhaft gemacht hat. Wer heute seinen Kaffee noch mit Kuhmilch trinkt, ist out und schadet dem Klima. „Oatly möchte zeigen, dass es möglich ist, einen Fokus auf Nachhaltigkeit zu setzen und trotzdem als Unternehmen zu wachsen“, erklärt Linda Nordgren, Kommunikationsmanagerin bei Oatly. „Wir müssen jetzt etwas unternehmen, um die Klimaziele zu erreichen. Perfektion ist dabei das größte Hindernis. Wir müssen die nachhaltigsten Entscheidungen treffen, in einem System, das voller Fehler ist, und gleichzeitig versuchen, es zum Besseren zu verändern. Globales Kapital darf nicht weiter in Industrien investiert werden, die unseren Planeten zerstören, sondern sollte in Projekte und Unternehmen fließen, die nachhaltige Werte verfolgen.“
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Es geht um Geld. Ohne dieses, sind Unternehmen und Verbraucher:innen nicht in der Lage, nachhaltig zu agieren. Wie also kann ökologischer Kapitalismus funktionieren, wenn der Grundstein auf sandigem Boden gelegt wurde? Wenn Menschen, die faire Produkte konsumieren wollen, sich diese schlicht nicht leisten können oder Unternehmen nicht das notwendige Kapital aufbringen können, um nachhaltig zu wirtschaften? Ein ökologischer Kapitalismus schließt sich im Grunde seines Namens wegen schon aus. Die kapitalistische Produktionsweise ist das zentrale Problem, das die heutigen ökologischen Missstände durch zwei Jahrhunderte Raubbau verursacht hat. Die ökologische und die soziale Frage gehören untrennbar zusammen. Unternehmen, die nach ökologischen Grundsätzen produzieren und handeln, können das System nicht allein ändern. Gleichzeitig gibt es keine Individualschuld. Unökologischer und unsozialer Konsum des Menschen wird bedingt durch unökonomische Zwänge, in denen er sich befindet. Das heißt nicht, dass wir die Augen davor verschließen sollten, sondern nach jeder Möglichkeit trachten, die positive Veränderungen bewirkt. Ein System, das davon lebt, dass eine große Masse an Menschen Profit für einen geringen Teil der Bevölkerung erwirtschaftet, befindet sich in Dysbalance. Wie also sieht der ideale Gegenentwurf dazu aus? Eine Welt, in der ausschließlich fair produzierte Güter gehandelt werden? In der Menschen zu fairen Konditionen arbeiten, eine Krankenversicherung haben, sich Bildung leisten können? In der die Natur geschützt und nicht zerstört wird. In der Tiere wie Lebewesen behandelt werden, nicht wie Maschinen. Dies sind keineswegs Ideale, nach denen wir in ferner Zukunft streben sollten. Wir sind gezwungen, unsere Werte zu überdenken, auf die Straße zu gehen, Forderungen zu stellen, wenn wir eine andere Welt erwirken wollen. Und zwar jetzt.
Quellen:
[1] Nicoll, Norbert: Adieu, Wachstum! – Das Ende einer Erfolgsgeschichte, Tectum Verlag, 2016, Marburg.
[2] https://saubere-kleidung.de/mode-menschenrechte/
[3] https://utopia.de/ueber-utopia/
[4] GOTS = Global Organic Textile Standard
https://www.global-standard.org/de/the-standard/general-description.html
[5] https://utopia.de/bestenlisten/modelabels-faire-mode/
[6] https://www.hartziv.org/regelbedarf.html
[7] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/wohnen/fairer-handel-einkauf-mit-gutem-gewissen-7067
[8] https://www.oatly.com/de/questions-and-answers