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Tiefseebergbau: Rohstoffrausch oder ökologische Katastrophe?

Die Tiefsee, ein vom Menschen nahezu unberührter Ort. Sie ist das am wenigsten erforschte Ökosystem unseres Planeten und beheimatet unzählige unerforschte Arten. Doch auch die Tiefsee ist nun in Gefahr, denn auf dem Meeresboden schlummern Schätze.

Was ist Tiefseebergbau?

Seltene Erden sind für die Energiewende und die Digitalisierung unverzichtbar. Der Abbau von sogenannten Manganknollen in der Tiefsee bietet nun die Chance, mehr dieser seltenen Erden zu fördern. Die Art und Weise des Abbaus ist jedoch extrem invasiv. Riesige Maschinen, die über eine Leitung mit einem Schiff an der Wasseroberfläche verbunden sind, sollen den Tiefseeboden umgraben und so die Manganknollen aufsammeln. Dabei wird das Sediment (Schlammschicht am Meeresboden) durch das hohe Gewicht der Maschinen zusammengepresst. Außerdem entstehen sowohl bei dem Prozess des Abbaus, als auch nach der Reinigung der Knollen an Bord des Schiffs, riesige Wolken aus aufgewirbeltem Sediment, welche sich nur sehr langsam wieder absetzen und eventuell weitere unbekannte Schäden für das Ökosystem mit sich bringen.

Trotzdem gibt es seit Jahrzehnten internationale Verhandlungen zum industriellen Abbau der metallischen Rohstoffe auf dem Meeresboden. Da die internationalen Gewässer niemandem gehören, müssen Staaten gemeinsam im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) über Tiefseebergbau entscheiden.

Der Kampf um das Erbe

Die Bodenschätze auf dem Meeresboden der hohen See sind durch ein internationales Meeresabkommen der UN (UNCLOS) als sogenanntes „Common Heritage of Mankind“ (dt. gemeinsames Erbe der Menschheit) deklariert. Das heißt, sie sind ein globales Gemeingut, das theoretisch allen Menschen auf der Welt gehört. Die politische und wirtschaftliche Regulierung dieser Bodenschätze unterliegt deshalb einer Institution der UN: der Internationalen Meeresbodenbehörde (engl. International Seabed Authority (ISA)). Da Tiefseebergbau in der Hohen See noch nicht erlaubt ist, werden momentan von der ISA nur Explorationslizenzen (für Equipment-Tests und wissenschaftliche Studien) vergeben. Seit den 1990ern reisen gewählte Vertreter*innen der ISA Mitgliedstaaten zu einer jährlichen Tagung, um über die Formulierung und Verabschiedung des sogenannten Mining Codes (MC) zu verhandeln, der festlegt, wo und unter welchen Bedingungen Tiefseebergbau in der Hohen See legal sein soll. Seit 2019 liegt ein fertiger Entwurf des MCs vor, über den bis heute intensiv verhandelt wird.

Im Jahr 2021 entstand zusätzlicher Druck, den MC in die Praxis umzusetzen. Der Inselstaat Nauru löste eine Klausel im Durchführungsabkommen von UNCLOS aus. Diese sogenannte “Triggerklausel” besagt, dass ein Unternehmen, das einen Antrag auf industriellen Bergbau stellt, das Recht hat, die Fertigstellung des MC innerhalb von 2 Jahren zu beschleunigen. Gelingt dies nicht, hat das Unternehmen das Recht auf eine vorläufige Genehmigung der Bergbauaktivitäten durch den Rat der ISA („Zwei-Jahres-Regel“). Die Frist für diese zwei Jahre nach Aktivierung der Klausel lief am 09.07.2023 aus. In der Sitzung der ISA Versammlung und des Rates im Jahr 2023 wurde jedoch kein Konsens zum weiteren Verfahren erzielt, sodass eine endgültige Fassung des MC nicht verabschiedet werden konnte. Die Mitgliedstaaten gaben sich noch zwei weitere Jahre Zeit, um zu verhandeln.

Wieso hat die ISA das nicht verhindert? Die Behörde und ihre Vorsitzenden wurden seit ihrer Gründung wiederholt von Gegner*innen des Tiefseebergbaus für ihre mangelnde Transparenz und Subjektivität kritisiert. Entscheidungsprozesse der ISA sind für die Öffentlichkeit in hohem Maße intransparent. Verschlimmert wird dieser Umstand durch die fehlende Einbeziehung von Interessengruppen, was die Diskussion wissenschaftlicher Erkenntnisse, die von externen Institutionen erforscht wurden, einschränkt. Das ist natürlich besonders problematisch, da die ISA eigentlich die Aufgabe hat, das „gemeinsame Erbe der Menschheit“ zu wahren und fair zu regulieren. Faktisch schließt die Behörde aber den Großteil der Menschheit von ihren Entscheidungsprozessen aus.

Wieso wurde Tiefseebergbau noch nicht verboten, wenn der Abbau der Bodenschätze so umweltschädlich und in der internationalen Politik so umstritten ist? Wieso löst ein kleiner Inselstaat eine Triggerklausel in einem jahrzehntealten Vertrag aus, wenn die Tiefsee eigentlich noch kaum erforscht ist? Der Grund liegt im internationalen Wettbewerb um die immer knapper werdenden Rohstoffe.

Rohstoffbedarf

Befürworter*innen eines raschen Beginns von industriellem Tiefseebergbau in der Hohen See sind Staaten wie Nauru, Jamaika, China und Norwegen. Die Regierungen erhoffen sich vom Tiefseebergbau einen Beitrag zur Deckung des künftig steigenden Bedarfs an metallischen Rohstoffen. Diese sind besonders wichtig für den nachhaltigen Umbau vieler Industrien, der aufgrund des fortschreitenden Klimawandels notwendig sein wird. Viele Befürworter*innen gehen so weit, dass sie den Tiefseebergbau als alternativlos ansehen, wenn der Bedarf an Rohstoffen in den kommenden Jahrzehnten gedeckt werden soll. Befürworter*innen argumentieren, dass auch terrestrische Bergbauprojekte, die aufgrund der wachsenden Nachfrage ausgeweitet werden müssten, oft mit starken negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen einhergehen.

Gegner*innen des Tiefseebergbaus sehen diese Argumente sehr kritisch. Denn viele renommierte Forscher*innen, Umweltverbände und Aktivist*innen nennen gute Gründe, wieso Tiefseebergbau so gefährlich ist.

Umweltbedenken

Der Tiefseebergbau hat erhebliche Folgen für das Ökosystem und die Artenvielfalt. So ergab eine Langzeitstudie Hamburger Meeresforscher*innen von 1989 bis 2015, dass sich das Ökosystem und die Artenvielfalt auch nach 26 Jahren nicht vollständig von den Auswirkungen des Tiefseebergbaus erholen und möglicherweise irreversible Schäden entstehen. Hinzu kommt die Problematik, dass eine Rekultivierung des Meeresbodens nicht so einfach möglich ist wie bei Bergbau an Land. Allein Manganknollen brauchen Jahrmillionen für ihre Entstehung. Letztendlich sind aber noch längst nicht alle Folgen absehbar, was es umso wichtiger macht, die Tiefsee zu schützen. Vor allem, da sie für den Rest des Planeten unverzichtbar ist. Denn die Tiefsee ist Teil des Kreislaufs, sie ist der „Recyclinghof“ der Ozeane. Die Ozeane wiederum sind essentiell für das Leben des Menschen und anderer Landlebewesen. Sie versorgen uns mit Nahrung, sie produzieren über 70% des Sauerstoffs und das momentan vermeintlich wichtigste: Sie speichern erhebliche Mengen CO2. Die Ozeane stellen ein Gleichgewicht her, zwischen der CO2 Konzentration der Atmosphäre und der des Wassers. Bisher haben sie so 30% der durch den Menschen verursachten CO2-Emission gespeichert.

Alternativen und Wirtschaftlichkeit

Dass für eine ausreichende Beschaffung seltener Erden der Tiefseebergbau alternativlos ist, ist zu bezweifeln. Denn die terrestrischen Vorkommen könnten unter Umständen noch lange ausreichen. Abbautechniken sind weiterentwickelt worden und auch die bisher kaum geförderte Wiederverwendung von Metallen hat großes Potenzial. Auch die Frage um die Wirtschaftlichkeit des Manganabbaus ist nicht final geklärt. Denn es müssen noch Methoden entwickelt werden, um aus den Erzen verwendbare Metalle zu gewinnen. Hinzu kommt, dass nur Mangan und Kobalt durch den Tiefseebergbau in nennenswerten Mengen gefördert werden können. Dabei wird Mangan generell in nur sehr geringen Mengen verwendet und schon jetzt werden Alternativen erforscht und getestet. Kobalt beispielsweise wird in neueren Autobatterien immer seltener bis gar nicht mehr eingesetzt. Außerdem werden Gesellschaften in der Zukunft darauf angewiesen sein, ressourcenintensive Technologien durch effizientere auszutauschen. Zum Beispiel den Individualverkehr in Städten durch den ÖPNV. Und nicht zu vergessen steht dem Gewinn der Bergbauindustrie der Schaden durch Umweltzerstörung gegenüber. Auf kurz oder lang muss die Behebung bzw. der Ausgleich des entstandenen Schadens finanziert werden. Dabei ist diese Summe x im Fall des Tiefseebergbaus nicht einfach zu berechnen, da die Folgen für das Ökosystem kaum absehbar sind.

Norwegens Tiefseebergbau-Pläne

Trotz der Gefahren und des umstrittenen wirtschaftlichen Nutzens des Tiefseebergbaus, hält es Länder wie Norwegen nicht davon ab, dem Manganabbau zuzustimmen. Doch wie kommt es dazu, dass nun die norwegische Regierung ein Gebiet so groß wie Großbritannien plant zu erschließen, wenn doch die ISA den Tiefseebergbau reguliert?

Anders als für internationale Gewässer genießen Länder exklusive Rechte für ihre  sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszonen. Diese Rechte erlauben es ihnen Ressourcen wie Fischgründe, Öl oder eben Manganknollen, ohne die Zustimmung der ISA frei nutzen zu können. Da Norwegen über eine im Vergleich große ausschließliche Wirtschaftszone verfügt, kann die Regierung dementsprechend große Flächen für den Tiefseebergbau freigeben. Norwegen als größter Öl- und Gasproduzent Europas steht unter einem extremen Anpassungsdruck, um seine Marktstellung in einem fossil freien Europa halten zu können. Dieser Umstand legitimiert jedoch nicht die großangelegte Ausbeutung eines bislang noch weitgehend unerforschten Ökosystems. Der gleichen Meinung ist auch die europäische Spitzenforschung und bezeichnet den Versuch der norwegischen Regierung, den Tiefseebergbau als nachhaltig zu vermarkten, als Greenwashing.

eine vermeidbare Umweltkatastrophe

Durch die Aktivierung der Triggerklausel und die Pläne der norwegischen Regierung ist der Beginn von industriellem Bergbau in der Tiefsee näher als je zuvor. Dabei stimmen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Tiefsee überein: Der Abbau metallischer Rohstoffe auf dem Meeresboden wird sehr wahrscheinlich zu erheblichen und irreversiblen Schäden in einem kaum erforschten Ökosystem führen, von dem wir auch hier an Land abhängig sind. Es ist nun umso wichtiger, dass sich so viele UN-Mitgliedsstaaten wie möglich für ein Moratorium, das heißt für einen Aufschub des Tiefseebergbaus, aussprechen. Denn selbst mit einem Regelwerk wie dem MC, ist es nicht möglich, Tiefseebergbau zu betreiben und gleichzeitig die Tiefsee zu schützen! Die deutsche Bundesregierung hat sich bisher zwar gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen, jedoch noch nicht für ein Moratorium. Als Zivilgesellschaft müssen wir jetzt gemeinsam Druck machen! Noch ist der Tiefseebergbau eine vermeidbare Umweltkatastrophe!

Maike Breuer und Tim Hesse, Arbeitskreis Umweltjournalismus

Literatur- und Quellenverzeichnis